Comtheo * Predigten aus dem Vikariat von Susanne und Martin Jensen


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30. Juli 2000 - 6. Sonntag nach Trinitatis - Apostelgeschichte 8, 26-39
Vikarin Susanne Jensen

Liebe Gemeinde!

In der Lutherbibel,
in der noch nicht revidierten Fassung von vor 1975,
war der heutige Predigttext überschrieben mit:
Der Kämmerer aus dem Morgenland.
Das Morgenländische an der Geschichte 
macht sich fest an einer der beiden Hauptpersonen:
Eben dem Kämmerer aus Äthiopien.
Eine fremdländische Gestalt steht im Zentrum
dieser Missionsgeschichte aus der Apostelgeschichte.

Ich möchte Sie einladen sich einzufühlen in 
die fantastische Begegnung, die stattfand auf 
der staubigen Wüstenstraße zwischen Jerusalem und Gaza.
Fantastisch deswegen, weil die Begegnung 
zwischen den beiden Hauptpersonen echt wunderbare Züge trägt.
Wir wollen von diesem Wunderbaren ein Stückchen abbekommen
und begeben uns in die Nähe des Philippus, der zweiten Hauptperson.

Der Engel des Herrn 
tritt leise in das Schlafgemach des Philippus.
Eine göttliche Sendung hat er auf den Lippen,
die er dem gerade erwachenden Jesusjünger zuspricht:
„Steh auf und geh nach Süden auf die Straße,
die von Jerusalem nach Gaza hinabführt und öde ist.“
Ein Spezialauftrag für unseren Missionar aus Samarien.
Er ist so einer, den man schicken kann, 
ein geschickter Helfer und Freund der Armen, sowieso ...

Eine Priese Antrieb und Mut
gibt ihm der Engel mit auf seinem Weg; 
denn solches braucht man immer im Dienste des Evangeliums.
Auf Jüngerweise schnürt er sein Bündel und macht sich auf
in Richtung der Heiligen Stadt Jeruschalaijm,
Wallfahrtsort Hunderttausender von Menschen, 
die in Ehrfucht dort den Herr anbeten.

Wie an einem feinen göttlichen Goldfaden gezogen,
bewegt er sich durch das Gewusel der Menschenmenge und
verlässt gen Süden die Tore der Stadt.
Es ist heiß.
Zum Glück geht es bergab.
Philippus bewegt sich in einem Troß von Wallfahrern.
Eine Geisterstimme aus dem Off spricht zu ihm 
in dem gleichen imperativischen Tonfall des Engels:
„Geh hin und halte dich zu diesem Wagen.!“

Da sitzt einer gemütlich drin.
Etwas mißtrauisch beäugt unser Volksmissionar
den vornehmen Wagen, aus dem Wortfetzen dringen.
Der Kämmerer aus dem Morgenland sitzt drin
und liest laut aus einer teuren Schriftrolle.
Das in heiligen Texten geschulte Ohr des Philippus
erkennt messerscharf: das ist eine griechische Übersetzung
der Schrift des Profeten Jesaja.

Mh...eine komplizierte Textstelle, 
die dieser Reisende am Wickel hat. 
Wenn der die versteht, bin ich schief gewickelt,
denkt sich unser Jesusjünger provokant.
Okay, Philippus neigt sich indiskret in das Wageninnere:
„Verstehst du auch, was du liest?“

Der Gefragte ist niemand Geringeres als der Finanzminister
der Ägyptischen Königin, der Kantake. Also ein VIP.
„Da habe ich ja einen dicken Fisch an der Angel!“, - denkt Philippus.
Das muß man von dem missionarischen Standpunkt aus sehen.

Zum Profil dieses Mannes, des Kämmerers 
aus dem Morgenland sei gesagt:
Er ist hoher Hofbeamter - gehobener Dienst und höher, 
ein politischer Beamter - 
ein Geldmensch, der Karriere gemacht hat.
Die Karriere am ägyptischen Königshof 
hat ihn einen hohen Preis gekostet:
Im Griechischen Urtext der Predigtperikope steht es: 
er ist ein Eunuchos!
Eunuch steht förmlich für Hofbeamter in diesem Kontext,
denn Beamte am Hof weiblicher Herrscherinnen 
wurden durch Entmannung oft zeugungsunfähig gemacht.
So ist mit großer Wahrscheinlichkeit anzunehmen, 
daß dieser Kämmerer tatsächlich Eunuch war.
Ein wirklich hoher Preis!

Die Verstümmelung an seinem männlichen Attribut
hat Konsequenzen sowohl im privaten 
als auch im religiös-kultischen Bereich. - 
Im privaten, das läßt sich denken ...
Im religiös-kultischen: Er kann kein Mitglied werden 
in der religiösen Gemeinschaft, die ihn anzieht.

Es zieht ihn hin zum Judentum: 
der monotheistischen Religion schlechthin.
Er will anbeten den einen Gott, 
den Schöpfer des Himmels und der Erde.
Den Gott hinter allem Weltlichen, 
Adonaj, Elohenu, Mäläch HaOlam.

Der Kämmerer aus dem Morgenland, 
ist Wallfahrer und Gottsucher.
Sicher wird er in Jerusalem von kundigen Rabbis 
erfahren haben, daß er als Eunuch 
kein Mitglied der jüdischen 
Religionsgemeinschaft werden kann.
„Kein Entmannter oder Verschnittener 
soll in die Gemeinde des Herrn kommen.“ 
so heißt es in der Tora, dem 5.Buch Mose.
Ein Schlag ins Kontor.

So nimmt er sich dann doch wenigstens eine dieser
wunderbar heiligen Rollen mit, als Souvenier gewissermaßen.
„Verstehst du auch, was du liest?“
„Wie kann ich, wenn mich niemand anleitet?“
Die vom geistlichen Engel gewirkte Begegnung findet statt.

Es sieht spontan aus, ist aber göttlich inszeniert,
wir denken an den feinen göttlichen Goldfaden.
Schwupps, sitzt Philippus im Wagen des Kämmerers.
Er läßt ihn lesen, was er nicht versteht.
Worte, die ganze Bücherschränke an Kommentarliteratur 
füllen könnten, Worte aus dem 3.Gottesknechstlied
des Profeten Jesaja aus dem 6. Jh.v.Chr. der Zeit des
babylonischen Exils.
Wie ein Schaf, das zur Schlachtbank geführt wird
und wie ein Lamm, das vor seinem Scherer verstummt,
so tut er seinen Mund nicht auf.
In seiner Erniedrigung wurde sein Urteil aufgehoben.
Wer kann seine Nachkommen aufzählen?
Denn sein Leben wird von der Erde weggenommen.
„Ich bitte dich,von wem redet der Profet das,
von sich selbst oder von jemand anderem?“

Als erprobter Prediger gibt ihm Philippus
eine Auslegung die überzeugt.
Er deutet die Sätze auf Christus hin
und predigt ihm das Evangelium von Jesus, aber gründlich.
Schließlich haben die zwei Zeit im Wagen
auf ihrem Weg hinab nach Gaza.

Das Evangelium von Jesus,
berührt den abgewiesenen verstümmelten Eunuchen
in seinem Herzen, seine religiöse Resonanzfähigkeit
fängt an zu klingen - er fühlt sich angesprochen:
Ja, ich bin gemeint, 
ich bin gewollt, angenommen, geliebt -
so wie ich bin,
mit meinen Verletzungen.
Der Eunuch hat einen Freund, einen Chaver, im Wagen,
der ihm dieses menschenfreundliche Evangelium zuspricht.

Der Fall hier zeigt auch ganz deutlich:
Die Bibel kann auf Dauer nicht allein studiert werden,
die Bibel ist ein Buch der Gemeinschaft.
Das Profetenbuch Jesaja aus der Hebräischen Bibel
wird von Juden wie Christen gemeinsam gelesen und geliebt.
Christen deuten den leidenden Gottesknecht auf Jesus Christus 
hin.
So geschieht es in dieser Geschichte auf der staubigen Straße 
zwischen Jerusalem und Gaza in dem Wagen des Ägypters.

Die Auslegung des Jesusjüngers Philippus ist so ansprechend,
daß der Kämmerer aus dem Augenblick heraus 
entscheidet, einer der ihren werden zu wollen.
Wasser am Wegesrand leuchtet ihm entgegen.
Es platzt aus ihm heraus:
„Siehe, da ist Wasser, was hindert´s,
daß ich mich taufen lasse?“
Eine klare Willensäußerung des heidnischen Gottesfürchtigen.

Was hindert´s - niemand hindert´s!
Beide steigen sie vom Wagen in das kalte Naß,
das Wasser der Taufe. 
Damit wird der Kämmerer einer der ihren,
Bruder in Christo.

In diesem geistgewirkten Geschehen ist Erniedrigung
und Auferstehung so eng miteinander verbunden, 
daß der Täufling in eine österliche Bewegung hineingezogen 
wird, die sein Leben verändern kann, wenn er es will.

Ein fantastisches Erlebnis:
Der Ägyptische Eunuch kann ein Lied davon singen.
...fröhlich zog er seine Straße weiter in Richtung Heimat.
so heißt es am Ende der wunderbaren Geschichte,
nachdem Philippus vom Geist des Herrn
eben mal nach Aschdod „gebeamt“ wurde.

Liebe Gemeinde,
das Morgenland liegt weit weg,
wir leben hier in Flensburg an der Förde.

Es ist für uns heute nicht mehr so leicht
zu erkennen, wie wunderbar sich Gottes Wort
in unsere Welt hineinbewegt.
Doch wir, die wir mit Wasser und Geist Getaufte sind,
zeugen von Gottes Bewegung 
in seine/ in unsre Welt hinein.
Gottes Geist ist bei unserer Taufe
auf uns herabgekommen und wirkt in uns. 

Wie jeder Einzelne von uns bewußt,
dh. als Erwachsener, als Konfirmand, 
zur Annahme des Evangeliums von Jesus Christus 
kommt oder gekommen ist, dürfte sehr unterschiedlich sein.
Jeder kann seine Geschichte davon erzählen,
kann von seiner Fahrt im Wagen des Lebens berichten.

So unterschiedlich, wie unsere Weggeschichten klingen
mögen, kann ich trotzdem einen feinen göttlichen
Goldfaden erkennen, der uns miteinander verbindet.

Dieser Goldfaden ist so leicht
wie ein gesponnener Faden einer Seidenraupe.
Der Goldfaden weht durch die Luft
und bleibt hängen an einem anderen Menschen.

Wenn das geschieht,
kann der eine dem anderen zum Philippus werden,
kann er ihm das unbedingte Ja Gottes zusprechen.
Ja, dann geschieht es,
daß der eine Worte des Lebens auf seinen Lippen hat, 
die er seinem neugewonnen Bruder ins Herz legt. 

Und aus den vielen Fäden, die wir wehen lassen
wie der Geist Gottes es will, entsteht ein Netz,
das uns trägt und wunderbar geborgen hält. 

AMEN

Ideen und Mails an: webmaster@comtheo.de