Comtheo * Predigten aus dem Vikariat von Susanne und Martin Jensen


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 2. Juli 2000 - 2. Sonntag nach Trinitatis - 1. Korinther 14,1-3.20-25
Vikarin Susanne Jensen

Liebe Gemeinde!
...
Ich möchte Ihnen heute 
gleich zu Anfang der Predigt
einen Artikel und einen Paragraphen
aus dem Kirchenrecht vorstellen:

Artikel 20, Absatz 1, Satz 1 der Verfassung
der Nordelbisch Evangelisch-Lutherischen Kirche,
dort heißt es: 
„Der besondere Dienst der Pastorinnen
und Pastoren, der ihnen mit der Ordination 
übertragen wird, liegt in der Sammlung der 
Gemeinde durch die öffentliche Verkündigung
des Evangeliums in Wort und Sakrament
im Gottesdienst und in den Amtshandlungen.“

Diesen Artikel lese ich zusammen mit
Paragraph 4, Absatz 2 des Pfarrergesetzes
der VELKD (Vereinigten Evangelisch-Lutherischen
Kirche Deutschlands - bestehend aus 8 Gliedkirchen),
dort heißt es:
„Der Ordinierte ist durch die Ordination verpflichtet,
das anvertraute Amt in Gehorsam gegen Gott 
in Treue zu führen, das Evangelium von Jesus Christus,
wie es in der Heiligen Schrift gegeben und
im Bekenntnis der ev.-luth. Kirche bezeugt ist, rein zu
lehren, die Sakramente ihrer Einsetzung gemäß zu 
verwalten ...“ so weit der Gesetzestext.

Mit diesen Texten haben sich vor wenigen Wochen
wieder 24 Vikarinnen und Vikare der NEK im
Predigerseminar in Preetz beschäftigt, -
zwengs Kirchenrechtsklausur.

Für mich war das keine trockene Rechtsmaterie;
mir trat sehr stark ins Bewußtsein,
was Dienst, Amt und Auftrag der Kirche heißt.
Worauf unsere Kirche gründet: 
auf Jesus Christus, dem wir im Wort und Sakrament
begegnen können, wenn der Heilige Geist dabei ist.

Für dieses Amt werden wir Vikare ausgebildet.
Unsere Vikarsväter und -mütter haben unsere Arbeit,
sozusagen unsere ersten Gehversuche im Talar,
zu begleiten.  
Wir werden eingeübt in die Tradition der Kirche,
wir werden angehalten Gottesdienste als Liturgen
zu halten nach der Ordnung der jeweiligen Gemeinde.

Und wenn wir wollen,
können wir von unseren Vikarsvätern und - 
Müttern viel lernen.

Hier mache ich erst mal einen Schnitt
und will zum Predigttext hinüberblicken.

In der Gemeinde in Korinth, 
2.Hälfte des ersten Jahrhunderts, 
war mal wieder der Bär los.

Es traten in der Gottesdienstversammlung
Ekstatiker auf; man kann sie auch Pneumatiker
nennen, jedenfalls waren „diese geistbegabten
Gemeindemitglieder“ öffentlich im Gottesdienst
aufgetreten, und haben in Zungen geredet.

Die Zungenrede, griechisch: Glossolalie,
ist ein Vorgang, bei dem man nur Laute hört -
laute und leise Töne ohne Sinnzusammenhang.
Zungenrede ist keine Sprache, die man übersetzen 
kann, denn sie ist ja geistgewirkt. -
Der Hörende kann´s nicht übersetzen.
Der Zungenredner selber kann vielleicht eine
Deutung geben, von dem was er dachte, als er in
Zungen sprach.

Die Gemeinde in Korinth war diesen recht begeisterten
Zungenrednern ausgesetzt, und suchte Rat bei Paulus,
ihrem Gemeindegründer.

Paulus schreibt in Kapitel 14 eine Art Gottesdienstordnung. 
Jedenfalls sagt er ihnen das Nötige zu 
dem Problem um die öffentliche Zungenrede.
Er spricht der Zungenrede nicht das Recht ab,
geistgewirkt zu sein. Sie ist Geistesgabe.

Dies sagt er auch deutlich an anderer Stelle:
„Es gibt verschiedene Gaben; aber es ist ein Geist.
Und es sind verschiedene Ämter; aber es ist ein Herr.
Und es sind verschiedene Kräfte; aber es ist ein Gott,
der da wirkt alles in allem.
In einem jeden offenbart sich der Geist zum Nutzen aller;
dem einen wird durch den Geist gegeben, ...
dies zu tun ... Weisheit, Wunder, prophetische Rede -
(er zählt es auf) einem anderen mancherlei Zungenrede.“
So steht´s im 12 Kap. des Korintherbriefs.

Ein Kap. weiter, dem Hohenlied der Liebe,
fängt er an: „Wenn ich mit Menschen- und mit
Engelzungen redete und hätte die Liebe nicht...“

Die Zungenrede ist ein Phänomen der jungen Gemeinde 
in Korinth. Es gab Begeisterung, Aufbruchsstimmung,
den Wunsch zur Erneuerung - aber eben auch
Endzeitstimmung. 
Die Gemeinde wartete auf die baldige Wiederkunft des 
Herrn, und dies tat sie mit einer großen Sehnsucht.
Die Zungenredner waren Apokalyptiker in Korinth.

Paulus sah ihr Wirken im öffentlichen Gottesdienst
nicht gerade als gemeindeaufbauend an.
Denn: 
- Die Zungenrede muß übersetzt werden
sonst bleibt sie für die Hörer unverständlich
- so unverständlich wie sie ist,
kann sie nicht zur allgemeinen Erbauung
des Gottesdienstes beitragen
- der Zungenredner redet für Gott und für sich selbst,
das muß nicht so öffentlich geschehen

Da ist der Paulus eben klar
kirchenpolitischer Prakmatiker.
Er will schließlich, daß das Evangelium
in Wort und Sakrament kommuniziert wird.

Die prophetische Rede bringt mehr.
Sie ist mehr an der Situation der Menschen dran,
wirklichkeitsnäher und kann - in ihrer
unmißverständlichen Klarheit eher bewirken,
daß der Heilige Geist es schafft im Medium
des Predigtwortes die Wirklichkeit mit der
Verheißung zu versprechen.

Es heißt ja im Predigttext ganz klar:
Wer aber prophetisch redet,
der redet den Menschen zur Erbauung und
zur Ermahnung und zur Tröstung.

Paulus schätzt die prophetische Rede.
„Bemüht euch um die Gaben des Geistes,
am meisten aber um die Gabe der prophetischen Rede.“
So sagt er es seiner Gemeinde und damit auch uns heute.

Was ist das? - Prophetische Rede
- unbequeme Rede
- Klartext
- wirklichkeitsnah
- sozialkritisch ?
- beissend, unmißverständlich
- kompromislos, radikal ?

In der Nordelbischen Kirchenzeitung schreibt
Ernst Udo Metz, Gemeindepfarrer in 
Gelsenkirchen-Heßler zur prophetischen Rede:
Sie soll an die Nieren gehen!
Sie soll scharfblickend und weitsichtig sein
und in Herz und Gewissen reden.

Die prophetische Rede ist keine bloße Verstandesrede,
sie wird gesteuert von Herz und Verstand
und beflügelt vom Heiligen Geist, 
wenn die Ausrichtung stimmt.
----------
Eine prophetische Lebensäußerung Mitten
in einen Gottesdienst hinein überliefert Martin Buber
in seinen Erzählungen der Chassidim:

Das Pfeifchen
Ein Dorfmann, der Jahr für Jahr an den „furchtbaren Tagen“
im Bethaus des Baalschem betete, hatte einen Knaben,
der war stumpfen Verstandes und konnte nicht einmal
die Gestalt der Buchstaben erfassen,
geschweige denn den Sinn der heiligen Worte erkennen.

Der Vater nahm ihn an den furchtbaren Tagen nicht mit in die Stadt,
weil er nichts wußte.
Doch als er dreizehn war und mündig vor Gottes Gesetzen,
nahm ihn der Vater am Versöhnungstag mit, damit
er nicht etwa esse am Tage der Kasteiung aus Mangel an Wissen.
Der Knabe aber hatte ein Pfeifchen, darauf pfiff er immer,
wenn er auf dem Felde saß, die Schafe und Kälber zu weiden.

Das hatte er nun in der Tasche seines Kleides mitgenommen,
ohne daß der Vater es merkte.
Der Knabe saß Stunde um Stunde im Bethaus
und wußte kein Wort zu sprechen.
Als man aber das Mussafgebet anhob, sagte er:
„Vater, ich habe mein Pfeifchen bei mir und ich will darauf singen.“

Bestürzt fuhr der Vater ihn an, und der Knabe bezwangs.
Aber als das Minchagebet begann, sagte er wieder:
„Vater, erlaube mir doch, mein Pfeifchen zu nehmen.“
Der Vater wurde zornig und fragte:
„Wo hast du´s?“
legte alsbald die Hand auf die Tasche und hielt sie drauf.
Nun aber erscholl das Endgebet.
Der Knabe riß dem Vater die Tasche aus der Hand,
riß das Pfeifchen aus der Tasche und piff
einen gewaltigen Pfiff.
Alle standen erscheckt und verwirrt.
Der Baalschem jedoch sprach das Gebet weiter,
nur schneller, leichter als gewöhnlich.
Hernach sagte er: 
„Der Knabe hat´s mir leicht gemacht.“
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Es scheint, daß der gewaltige Piff des Knaben
erst mehr mit der Zungenrede zu tun hat.
Denn die Leute erschrecken, 
sind verwirrt und verstehen nix.
Ein richtiger Störfaktor.
Die schöne Liturgie - wie kann man nur.

Doch der Baalschem versteht!
Das ist die für den behinderten Knaben die einzig
mögliche Gebetsäußerung in diesem heiligen 
Gottesdienst.
Und was das Wunderbare ist:
Der Baalschem versteht nicht nur, 
sondern spürt auch den Geist,
der mit dem Knaben ist.
Sien Pfiff ist prophetische Rede.

Das Wunderbare, das Geheimnisvolle,
das von Gott kommt, sucht sich seine Form.
Wir als Liturgen stellen uns für die Gemeinde
zur Verfügung, sprechen die Gebete,
die nach oben gehen sollen.
 
Ich hab´ als Liturgin den Wunsch,
daß die Gemeinde ab und an sagen kann:
„Die Liturgin hat´s uns leicht gemacht.“
und ich dann im gleichen Zuge antworten kann:
„Die Gemeinde hat´s mir leicht gemacht.“


AMEN

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