Comtheo * Predigten aus dem Vikariat von Susanne und Martin Jensen
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Predigt zu Amos 5,21-24 Estomihi 2000 (5. März 2000) Vikar Martin Jensen Liebe Gemeinde Sind Sie stark? Trauen Sie etwas zu? Trauen Sie sich, das Wort Gottes in den Alltag zu tragen? Ich denke an eine Postkarte, die ich vor einigen Wochen im Diakonischen Werk in Rendsburg kaufte. Überschrieben ist die Postkarte mit den Worten: Trau dich! Ein Fuchs ist zu sehen, der sich - ganz hungrig - auf sein Essen freut. Er hat Messer und Gabel in der Hand und seine scharfen Zähne verheißen nichts Gutes für seine Beute. Er ist sich seiner Sache ganz sicher. Füchse essen Enten. Das ist ganz klar. Aber die Ente läuft nicht weg. Die Ente, die er fressen will, guckt den Fuchs mit offenen Augen an, ganz erwartungsvoll. Und die Ente tut das Unerwartete. Sie ergreift nicht vor Angst die Flucht. Nein, beherzt schnappt sie nach dem zähneblitzenden Maul des Fuchses. Die Ente hat den Fuchs im Schnabel. Die Ente traut sich. Der Fuchs ist verdutzt, überrumpelt, seine gewohnte Welt wird in Frage gestellt. Die Ente läßt den Fuchs für einen Moment erahnen, wie sie sich fühlt, wenn er sie bedroht, ihr die Luft zum Atmen nimmt. Trau dich! Liebe Gemeinde, eigentlich ist das ein unmögliches Bild: eine Ente wird nie einem Fuchs so entgegentreten, oder doch? Amos, der Künder unseres Predigttextes, tut das Unmögliche. Er steht mitten in Bet El, dem zentralen Heiligtum Israels. Seine Hand ist zur Faust geballt, in seinen Augen blitzt es zornig: "Ich bin euren Feiertagen gram und verachte sie und mag eure Versammlungen nicht riechen." Mitten im Gottesdienst hat er diese Gottesworte den Menschen hingeschleudert. Es ist beängstigend still. Hunderte Menschen sehen ihn an. Amos spürt wieder die Angst: "Ach, hätte ich doch geschwiegen", denkt er. Da bricht es über ihn hinein: "Was fällt dem ein? Raus mit ihm. Soll er doch abhauen, dieser Ausländer." Nur ganz wenige bleiben stumm. Ja, Amos ist Ausländer. Er stammt aus dem Nachbarstaat Juda. Er gehört zu den Armen des Landes, zur sozialen Randschicht. Als Schafhirte, Viehtreiber und Maulbeerfeigenritzer verdient er sich seinen Lebensunterhalt. Die Armen trauen sich normalerweise nicht in den Gottesdienst. Dort sitzen die Gutbürgerlichen und Wohlhabenden. Und genau dort wagt es Amos, öffentlich den Zorn Gottes über den Gottesdienst zu verkünden. Ja ist denn dieser Mensch noch ganz bei Trost? Wie würden wir heute reagieren, wenn plötzlich einer aufsteht und sagt: "Ich mag eure Gottesdienste nicht." Wir haben uns heute Morgen auf den Weg gemacht zur Kirche. Manche vielleicht froh, eine Auszeit nehmen zu können, manche betrübt und traurig. Doch uns allen ist der Entschluß gemeinsam, heute zum Gottesdienst zu gehen. Wir wollen das Wort Gottes hören, Gott danken und den Segen Gottes empfangen. Gemeinsam singen wir Lieder zum Lob Gottes. Und Herr Euter entlockt der Orgel wunderbare Musik. Doch Amos schreit: "Tu weg von mir das Geplärr deiner Lieder; denn ich mag dein Harfenspiel nicht hören." Eine Zumutung! Wie kann Amos es wagen, diese Anklage Gottes so unverschämt vorzutragen? Amos traut sich. Er spürt den Klos im Hals, aber sein Zorn und sein Auftrag geben ihm Kraft. Gott selbst traut es Amos zu, die Menschen seiner Zeit so schonungslos anzuklagen. Die Kritik des Amos am Gottesdienst steht nicht im luftleeren Raum. Sie ist die Spitze seiner Kritik an der Gesellschaft im 8. Jahrhundert v. Chr. "So spricht Gott: ... ich will sie nicht schonen, weil sie die Unschuldigen für Geld und die Armen für ein Paar Schuhe verkaufen. Sie treten den Kopf der Armen in den Staub und drängen die Elenden vom Wege." Kräftige Worte. Amos bringt die Mißstände in der Gesellschaft auf den Punkt. Er prangert die Verachtung gegenüber den Armen an. Die Wohlhabenden der Gesellschaft genießen nicht nur ihren Reichtum. Nein, sie fühlen sich von den armen Menschen bedroht und drängen sie immer weiter ins Elend. Dabei mißachten sie Recht und Gesetz. Der Schutz des Eigentums steht vor jeder Menschlichkeit. Diese Menschen kennen nur noch sich selbst. Sie gehen sogar über Leichen, so wie Amos es andeutet: "Sie treten den Kopf der Armen in den Staub." Staub als Ort des Todes. Eigentlich möchte ich nun schweigen. "Ich hätte ja auch gern geschwiegen" meldet sich da Amos zu Wort. "Was glaubt Du, wäre mir für Ärger erspart worden. Nach meinem kolosalen Auftritt im Gottesdienst hätten mich die Leute beinahe gelyncht. Wenn ich nicht innerhalb weniger Tage das Land verlassen hätte, wäre ich im Gefängnis gelandet oder auf dem Friedhof. Merkwürdigerweise hat sich meine Frau über diese überstürzte Abreise gar nicht so aufgeregt. Sie meinte, die Menschen müßten endlich wieder die Bedürfnisse der Mitmenschen wahrnehmen. Sonst ginge die Gesellschaft vor die Hunde." Stimmt, Schweigen bringt nichts. Die Frau desAmos triff den Nagel auf den Kopf. Trau dich, Amos! Die Menschen sollen einander endlich wieder gerecht werden. Amos drückt dies etwas poetischer aus: "Es ströme das Recht wie Wasser und die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach." Wasser. Ein tolles Motiv. Ich denke an tosende Wasserfälle, die in Norwegen die Berge hinabstürzen. Hinab in die tiefen Fjorde, die das Land durchziehen und der Natur Leben und Blüte schenken. Es entsteht der Eindruck, als ob es unendliche Wasservorräte gäbe. Auch für uns ist Wasser noch im Überfluß erlebbar. Wir sehen die Förde vor der Haustür. Wir spüren die erfrischende, reinigende Wirkung beim Waschen und Trinken. Wasser ist für unser Leben absolut notwendig. Dann sehe ich plötzlich die judäischen Berge vor meinen Augen, die Heimat des Amos. In der kargen, heißen Landschaft können nur wenige Menschen, Tiere und Pflanzen überleben. Alle paar Monate regnet es ausgiebig, ja verschwenderisch. Für kurze Zeit blüht unglaublicher Pflanzenreichtum auf. Flüsse und Bäche entstehen. Doch die Sonne trocknet das Land schnell wieder aus. Pflanzen und Menschen müssen das Wasser sorgsam speichern. Amos macht die Erfahrung: jeder Tropfen Wasser ist kostbar. Genauso kostbar wie jeder Tropfen Wasser sind Recht und Gerechtigkeit. Ich werde einem Menschen gerecht, wenn ich seine Bedürfnisse wahrnehme und mein Handeln daran ausrichte. Recht und Gerechtigkeit lassen Verständnis für die Nöte anderer Menschen aufkeimen. Doch es ist oftmals schwierig, anderen Menschen und gleichzeitig uns selbst gerecht zu werden. So wenig es unendliche Wasservorräte gibt, so wenig ist unsere eigene Bereitschaft zu Recht und Gerechtigkeit unerschöpflich. Manchmal sieht es in uns aus wie in Norwegen, manchmal wie in der judäischen Wüste. Es kann passieren, daß wir anderen Menschen aus vollem Herzen gerecht werden. Wir billigen ihnen den Raum zu, den sie um sich brauchen und schützen sie in ihrer Entfaltung. Vielleicht sind es unsere Kinder, Enkel, Eltern oder Freunde. Die Neffen dürfen z.B. mit den wertvollen Modellautos spielen und laut über den Flur toben. Gerechtigkeit schafft Lebensfreude. Wir müssen jedoch acht geben, daß wir selbst nicht austrocknen. Wir sind keine unendlich sprudelnde Quelle. Wenn ich immer nur gebe, ohne daß man mir gerecht wird, trockne ich aus. Ich brauche auch Menschen, an die ich mich anlehnen kann, die mir gerecht werden. Gerechtigkeit lebt aus der Balance zwischen Geben und Nehmen. Die Angst um uns selbst verengt dagegen zeitweise den Blick auf die eigene Person. Schon das Bedürfnis nach einem ruhigen Feierabend, oder der Kopf voller Termine können dazu führen, daß wir den hilfesuchenden Nachbarn schnell abfertigen. Und die Freundin, die uns ihr Leid klagen will, wird fix auf morgen vertröstet. Außerdem gibt es Menschen, denen wir immer kühl begegnen. So z.B. dem Nachbarn, dessen Kinder als Jugendliche laute Feste bis tief in die Nacht feierten. Hier fließt die Gerechtigkeit gar nicht oder nur als Rinnsal. Dann bleibt die Beziehung zu den Menschen kalt und unfruchtbar. "Es ströme das Recht wie Wasser und die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach." Amos hat es satt, in einer Gesellschaft zu leben, in der die Gerechtigkeit aus der Balance geraten ist. Der Mitmensch wird nur noch als Bedrohung gesehen. Der Selbstschutz regiert. Wie kann das Gotteslob da noch ernst gemeint sein? Gott fordert doch: "Du sollst deinen Nächsten lieben, wie dich selbst." Das Gotteslob wird zur Fassade. Die Liebe zu Gott wird festlich demonstriert, doch die Liebe zum Menschen wird demontiert. Genau das läßt Amos so in Wut geraten, daß er mitten im Gottesdienst ausruft: "Ich bin euren Feiertagen gram und verachte sie und mag eure Versammlungen nicht riechen. Es ströme das Recht wie Wasser und die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach." So unerbittlich das auch klingt, es ist gleichzeitig die gute Botschaft des Amos. Gott sucht Kontakt zu uns. Gott will uns helfen beim Ringen um die Gerechtigkeit. Ihm ist es nicht egal, wenn bei uns Ungerechtigkeit herrscht. Gott benennt seine Sehnsucht und gleichzeitig den Weg für die Zukunft: "Es ströme das Recht wie Wasser und die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach." Gott traut uns zu, nach dem Unrecht zu schnappen, wie die Ente. Wir können aufmerksamer wahrnehmen, wo Recht und Gerechtigkeit zu versiegen drohen. Der Nachbar müßte nicht mehr unter den Jugendsünden seiner Kinder leiden. Und die abgewimmelte Freundin hätte einen Besuch verdient, wenn ich wieder klar im Kopf bin. Gerechtigkeit ist für das Leben so erfrischend, wie klares Wasser. Wenn wir Ungerechtigkeit nicht verhindern können, sollten wir sie öffentlich machen, so wie Amos. Allein sind wir auf keinen Fall. Gott zeigt uns den Weg und er geht mit. Gott ist die Quelle der Gerechtigkeit. So, wie bei Amos. Amos ist den wütenden Menschen entkommen. Ihm gelang die Flucht mit seiner Familie in die Heimat. Amos weiß, daß er auch seiner Familie gerecht werden muß. Oft denkt er an den Gottesdienst im Bet Ei zurück. Er spürt wieder das Herzklopfen. Ob wohl jemand seinem Aufruf gefolgt ist? Liebe Gemeinde. Uns ruft Amos durch die Jahrtausende zu, mitten in unseren Gottesdienst: "Trau dich! Trau dich, deinem Nächsten gerecht zu werden. Gott hilft dir. Er ist auf deiner Seite. Er macht dich stark." "Es ströme das Recht wie Wasser und die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach." Amen
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